Gewaltfreie Kommunikation

Die Empathielücken der Empathen

Es gibt für alles das richtige Werkzeug.

Wenn wir im Besitz eines Werkzeuges sind, dann können wir es entweder dafür einsetzen wofür es gebaut wurde, oder wir weigern uns, wider besseren Wissens, es überhaupt in die Hand zu nehmen. Oder wir missbrauchen es für andere Zwecke. Das kann neue kreative Wege gehen oder aber eher destruktive Züge annehmen.

Ähnlich verhält es sich auch mit der GFK. In den letzten Monaten beobachtete ich das Phänomen, dass Menschen, die um die GFK wussten, oft weit weniger empathisch schienen, als diejenigen, die weniger mit der GFK Materie zu tun haben. In einer Diskussionsrunde wurde sich gegenseitig vorgeworfen, das Werkzeug jeweils nicht richtig anzuwenden. „Das ist nicht GFK!“ „Doch, das ist SEHR WOHL GFK!“ hieß es da. Völlig außer Acht lassend, dass hier wieder ein „ICH hab Recht und DU nicht!“ Dialog geführt wurde, der völlig abseits jedes GFK-Gedankens steht.

Es schien, als ob der Frust und das Unverständnis bei den Beteiligten (auch bei mir) größer wurde, je erfahrener die Person vom gegenüber eingestuft wurde. „Der/Die müsste ja wohl wissen wie das geht! Wieso benimmt er/sie sich dann nicht dementsprechend??“ Wie kann das sein? Müsste es unter „Experten“ nicht super klappen mit der gewaltfreien Kommunikation? Die Krux liegt, denke ich, beim Fluch und Segen der Empathiefähigkeit, die bei den meisten GFK-Anhängern sehr hoch ist.

Bei mir merke ich z. B. oft das Phänomen, dass ich Schwierigkeiten habe, Emotionen zuzulassen, bzw. von anderen schwer ertragen kann, da sie auf mich überzuschwappen scheinen. Ich kann mich da schlecht abgrenzen. Entweder weil ich es nicht gelernt habe, oder weil es eben Menschen gibt, die das besser können als andere. Um mich davor zu schützen, ziehe ich also gleich schnell eine Schutzmauer hoch und wirke dann auf andere schnell unterkühlt und emotionsarm. Das Gegenteil aber ist der Fall. Vielleicht geht es vielen GFK-geübten Menschen ähnlich. Sie sind quasi zu sehr mitfühlend. Bevor die Gefühle des anderen sie zu sehr überwältigen, machen sie lieber alle Schotten dicht.

Vielleicht sind sie es aber auch manchmal Leid, immer diejenigen zu sein, die empathisch sein „müssen“ und verfallen schlichtweg in einen großen Widerstand, eine Weigerung, eine Rebellion, weil sie denken: immer muss ich alles machen. Das mag vielleicht auch bei vielen „Empathen“ die Geschichte sein: Früh als Kinder lernten sie die Empathie als Überlebensstrategie und übernahmen viele Dinge, die die Eltern emotional z. B. nicht leisten konnten. Wir brachten anderen Empathie entgegen aber haben selbst zu wenig davon bekommen.

Die Kehrseite also zur hohen Empathiefähigkeit ist genau diese Lücke in uns, die wir seither immer füllen wollen und denken: wenn ich den anderen so gut ich kann verstehe und ihm/r helfe, dann bekomme ich bestimmt das gleiche (Zuwendung) von ihr/ihm. Aber leider funktioniert diese Strategie selten so. Mit dem Älterwerden forschen wir nach, warum das so ist und lernen zunehmend, dass wir uns selbst diese Empathie geben müssen, und sie von anderen gerade mal erbitten, aber nicht erwarten können. Also lernen wir, auch NEIN zu sagen zur regelrechten „Empathiesucht“ in uns. Und lernen das Bedauern und Betrauern der vergangenen vergebenen Liebesmüh: „Immer muss(te) ich…“ Und, wenn wir dieses Muster erkennen, erzeugt diese Erkenntnis in Folge auch den Umkehrschluss: „Es reicht! Einen Scheiß muss ich!“

Und das ist ja auch völlig in Ordnung und gesund!!! Besser spät als nie in die Rebellische Phase eingetreten. Niemand MUSS IMMER und ständig in Empathiebereitschaft zu allen und jedem stehen. Wenn wir da alle gleich gepolt wären und dieser Energieaustausch ausbalanciert wäre, wäre das ja auch für die/den einzelnen nicht so anstrengend.

Vor allem wenn ein Dialog offenbart, dass echte Empathie vom gegenüber grade nicht kommt. Nur muss uns klar sein, dass eine Weigerung unsererseits auch immer Kontakt verhindern wird. Natürlich können wir Kontakt nicht wollen, weil wir denken uns schützen zu müssen. Manchmal ist das eine gute Entscheidung. Nun aber, wenn wir ein „Talent“ haben, eine Fähigkeit, liegt es leider auch in unserer Verantwortung, sie richtig anzuwenden und nicht die Augen davor zu verschließen, dass sie da ist. Andernfalls drehen wir uns ewig in einem Kreis aus Verweigerungen, gehen keinen Schritt aufeinander zu und NICHTS wird gelöst.

Mag sein dass die andere Person ein Spiel spielt, sich nicht wirklich öffnen will, nur so tut als ob, uns manipulieren will, aber das ist ihr Problem. Jedes unechte, aufgesetzte Verhalten registriert der Körper und zahlt seinen Preis dafür. Unser Instinkt will uns schützen vor „falschen“ Mitspielern, was gut ist. Nur müssen wir es auch formulieren. Aber nicht als Argument, dass die/der andere den Hammer im falschen Winkel halten würde, sondern uns eingestehen, dass wir fürchten, vom Schlag getroffen zu werden.