Gewaltfreie Kommunikation

Wo bleibt die Wut?

Mach dir deine Wölfin zur Freundin.

Ich dachte von mir lange Zeit, ich sei eine Person, die kaum wütend wird. Oder Wut nicht so kennt. Nur um mit den Jahren festzustellen, dass meine fehlende Wut einen Ursprung (natürlich in der Kindheit, wie immer) hat, und nicht einfach so naturgegebener Teil meines Wesens ist.

Und dass, leider, zusammen mit der Wut, sich auch meine Lebensfreude und mein Lebenswille selten blicken lassen. Ich also innerlich oft wie tot bin. Abwesend. Ich habe keine störenden Gefühle des Ärgers, juhu. Aber auch keine wirklich tollen Höhepunkte der Freude und des Glücks. Stattdessen hat sich eine Rastlosigkeit, Nervosität und Angst dort ausgebreitet, 

wo einst die Wut als nährendes Elixir vorhanden war. Ich stellte also fest, dass ich meine Wut, und mit ihr vieles Andere, nicht recht spüren konnte. Halleluja, Depression, wie im Bilderbuch. 

Mit diesen Voraussetzungen stieß ich nun damals auf die Gewaltfreie Kommunikation. Ich war beglückt und dachte: ja genau, warum sind alle anderen so voller Gewalt? Wie können die nur? Krieg und Folter und Mord und alles Schreckliche, sah ich NICHT in mir. Ich erkannte beim Lesen aber doch schnell, dass ich ebenfalls zu allen Grausamkeiten fähig war. Nur dass ich es niemals gewagt hätte, anderen Schlimmes zuzufügen, aber ich selbst konnte mich wohl nicht genug vor mir selbst schützen. Bäm! Shocking! Außen höflich, immer nett, immer people pleaser, innen die reißende Wölfin. Geiles Konzept. Wer hat sich das nur ausgedacht??

Dann, irgendwann fiel mir das Buch „Die Wolfsfrau“ in die Hände. Ein Goldschatz von einem Buch. Darin analysiert die Autorin verschiedene Erzählungen, Sagen, Märchen, die alle verschiedene Aspekte der weiblichen Psyche beleuchten. Sie stellt heraus, dass die meisten Frauen ihre Intuition verloren haben und sie unbedingt zurückgewinnen müssen, weil sie uns eine Leuchtfackel im dunklen Wald des Lebens ist. Diese Intuition, den alle Menschen von Natur aus haben, also unser tierischer Aspekt, wurde uns (ja, mir auch) über die Generationen (meist) mehr und mehr aberzogen.

Nun stehen wir da und sind ohne unsere Wölfin im Leben ziemlich verloren. Sie schützt uns, sie wittert Gefahren meilenweit im Voraus, sie unterwirft sich nicht, sie verteidigt sich. Das also ist das Diapositiv zur zerstörerischen Wut. Zur Wut, die blind wird, zum Wolf, den die GfK meint.

Was hab ich mit meiner Wölfin gemacht? Ich hab sie eingesperrt. Tief in mir, so weit, dass ich dachte sie wäre gar nicht da. Kein Wunder, dass sie Angst hat. Zum Glück stirbt sie nicht. Aber sie ist ganz schön ausgezehrt und verwahrlost. Ich, wir alle, brauchen diesen Anteil in uns. Ohne ihn können wir auch die GfK nicht richtig verstehen und leben. Denn als Überreste des Ursprungsgefühls spüren wir ja meist noch, dass wir, wenn Wut angebracht wäre, gerade was nicht rauslassen. Oder dass wir eine Leere in uns haben, wo eigentlich was sein sollte. Oder wir haben es soweit verdrängt dass sich eben unser Körper meldet.

Spätestens dann merken wir, dass wir uns kümmern sollten. Wenn wir das aber weiterhin missachten, fühlen uns immer mehr von der GfK „betrogen“ da wir die ganze Zeit mit allen empathisch sind, und nun hoffen dass andere ebenso mit uns umgehen werden. Aber dem ist nicht so, wir müssen für uns selbst einstehen, sonst werden wir, auch in der GfK, übersehen und überrannt. Nicht zuletzt von uns selbst weil wir meinen wir hätten da ja gar nicht so ein starkes Bedürfnis nach wie die anderen…sollen die anderen mal…usw. und uns so immer weiter selbst hintergehen.

Während ich also anfangs dachte, dass mir die GfK leicht fallen würde, da ich mich für gewaltlos hielt, weiß ich nun, dass ich mit dieser Einschätzung völlig falsch lag.

Es gibt natürlich ebenso Männer, die mit diesem Gemüt und ähnlicher Geschichte mit der GfK zu tun haben, aber es betrifft mehrheitlich Frauen, die wie ich schon sehr früh ihre Wildheit gegen Anpassung eingetauscht haben. 

Befreit also erst eure Wölfinnen, bevor ihr GfK lernt! Kümmert euch um sie!! Trainiert mit ihnen. Findet heraus was euch wütend macht. Wann setzt eure Abwehr ein? Wieviele Türen lasst ihr euch einrennen bevor ihr STOPP schreit? Werdet unbequem. Hört auf, allen gefallen zu wollen. Aber lasst eure Wölfin ja nicht von der Leine. Verletzt niemanden. Nutzt stattdessen diese Energie, wandelt sie um in etwas Konstruktives.

Das alles schaffen wir allerdings nur, wenn wir die Erfahrung machen dürfen, nicht automatisch verlassen zu werden, wenn wir all das sind: unbequem, geradeheraus, für uns einstehend. Einen WILLEN habend. Und wenn wir doch verlassen werden, was natürlich auch passiert, müssen wir die Stärke entwickeln, uns selbst halten zu können. Die aber gibt uns ja unsere wohlgenährte Wölfin.

Ich bin zuversichtlich, dass das der richtige Weg ist. Ich will vollständig werden und auch so angenommen werden. Ich geh mal meine Wölfin streicheln.